Einen Wein als "trocken" zu bezeichnen - was heißt das eigentlich?

Eigentlich ist das schon an sich ein sprachlicher Blödsinn, eine "Flüssigkeit" als trocken zu bezeichnen, wie jeder zugeben wird. Aber irgendwie haben die Hersteller von "geistigen" Getränken ein grundsätzliches Problem, den Geschmack ihrer Produkte zu definieren.

Beim Wein ist die schmeckbare Weinsäure "trocken", beim Bier sind die Bitterstoffe des Hopfens "feinherb". Nun kann es ja sein, dass Begriffe wie "sauer" und "bitter" in der deutschen Sprache negative Assoziationen hervorrufen würden. Andererseits kommen aber gerade die ausländischen Weinerzeuger ohne Dokumentation von "trocken" auf den Etiketten aus, was den Wein als Mitnahmeartikel im Supermarkt unkomplizierter macht.

Völlig unverständlich ist zusätzlich das "Herumreiten" und gebetsmühlenartige Wiederholen der Behauptung in Funk, Fernsehen und Presse, dass ein "guter Wein nur trocken sein kann".

Und das ist der Anfang einer Kausalkette, die dem Qualitätsstandard der deutschen Weine nicht gerecht wird und die erhebliche Dissonanzen im Verkauf auslöst. Denn, worum geht es eigentlich beim Genuss eines Glases Wein?

Aus Kundensicht ist das einzig und allein seine eigene Geschmackssympathie, entsprechend seiner Stimmung oder dem Anlass des Trinkens und nicht das Diktat von Erzeugern und selbsternannten "Experten". Das bestätigt die Erfahrung von tausenden von Weinproben. Der Kunde oder die Kundin kommt mit der Frage nach einem guten "trockenen" Weiß- oder Rotwein, verkostet 3 bis 4 Weine und entscheidet sich dann schlussendlich für einen "halbtrockenen" oder sogar "milden" Wein entsprechend der momentanen Geschmacksempfindung.

 

Und damit sind wir bei der Fragestellung: "Einen Wein als trocken zu bezeichnen - was heißt das eigentlich?" Festgelegt ist das im Deutschen Weingesetz von 1971, in der Zwischenzeit mehrfach überarbeitet und angepasst an europäische Vorschriften für Weinbergsbesitzer und Weinerzeuger. Darin ist auch definiert, welche Geschmacksmerkmale ein Wein haben kann, insbesondere das Verhältnis von Weinsäure und Restsüße (unvergorener Traubenzucker).

Aha, das ist verständlich, werden Sie vielleicht sagen, aber es ist trotzdem recht kompliziert: so kann zum Beispiel ein Weißwein als "trocken" bezeichnet werden, wenn er einen Säuregehalt von 5,5 und eine Restsüße von 7,5 (jeweils Gramm pro Liter) hat, aber auch ein Weißwein mit einem Säuregehalt von 7,0 und einer Restsüße von 9,0 ist trocken.
Sensorisch betrachtet sind das aber zwei Welten: der zweite Wein wird "säurebetonter" schmecken, trotz der höheren Restsüße.

Anders ist das dann beim Rotwein. In der Regel hat ein Rotwein einen Säuregehalt zwischen 5 und 6, aber nur eine Restsüße von 2 oder 3; dann bezeichnet man ihn als trocken. Meistens wird dann die fehlende Restsüße durch den höheren Alkoholgehalt ausgeglichen, der den Geschmack des Weins ausbalanciert.

Diese beiden Beispiele zeigen eigentlich ganz deutlich, dass das, was man so leichthin beim Wein als "trocken" bezeichnet, ein relativ komplizierter Sachverhalt ist. Hinzu kommt noch, dass jede von den in Deutschland vorwiegend angebauten 30 Rebsorten unterschiedlich hohe Säurewerte vor der Gärung hat und diese sich auch noch mehr oder weniger ausgeprägt in den einzelnen Weinanbaugebieten je nach Reifegrad darstellen.

Andererseits ist Wein ein emotionales Getränk, mit so vielen Facetten wie es Menschen gibt – den richtigen Wein zu finden, ist wie die Suche nach einem Partner – nur dass man Wein leichter probieren kann als dauerhaftes Genusserlebnis.